Exkursion Wiedikon und Aussersihl

Tragwerke in Zürich Wiedikon und Aussersihl


Katrin Schubiger und Urs Baur führten uns zu Tragwerken, deren Erbauer seinerzeit ingenieurtechnisches und architektonisches Neuland betraten. Sie ist die Enkelin des Zürcher Ingenieurs Emil Schubiger und arbeitet als Architektin im Zürcher Büro "Atelier 10:8"; er ist Kunst- und Kirchenhistoriker und leitet das Amt für praktische Denkmalpflege der Stadt Zürich.

Tieflegung der Zürichseelinie der SBB

Die Tieflegung der linksufrigen Zürichseelinie der SBB war in den 1920er Jahren eine Baumassnahme von aussergewöhnlichen Ausmassen und weitreichenden städtebaulichen Konsequenzen. Auf einem Kilometer Länge wurde die Sihl in ein neues Bett verlegt. Die neu angelegten Bahnhöfe Zürich Wiedikon und Zürich Enge sind architektonisch herausragende Bauwerke; Wiedikon, erbaut vom damaligen Stadtbaumeister Hermann Herter, ist eine schweizerisch-nüchterne Interpretation des entsprechenden Bahnhoftyps der Wiener Stadtbahn. Im Zusammenhang mit der Modernisierung der Bahnanlagen stellen sich verschiedene denkmalpflegerisch heikle Fragen.

Anlage Sihlhölzli

Architekt Herter erbaute auch die Turn- und Mehrzweckhalle im Sihlhölzli, deren von Robert Maillart konzipiertes Tragwerk verschiedene Anwendungsmöglichkeiten der Betonbauweise demonstriert: Unterzugslose Pilzdecken überspannen das Kellergeschoss, rahmenartige Binder umfassen die Hallen und ein filigranes Betonfachwerk trägt das Dach. Die Publikation dieser Dachträger in der Schweizer Bauzeitung brachte einen Fehler in der Bewehrung zu Tag. Obwohl sich Maillart mit "plastischen" Argumenten rechtfertigen konnte, war es nötig, nach vorangegangener Vorspannung einen zusätzlichen Riegel einzuziehen.

Der Musikpavillon ist eine Beton-Schalenkonstruktion, die Maillart nach einer "projektiven" Betrachtung statisch berechnete.

Neugotische Kirche Bühl

Die neugotische Kirche Bühl, 1894 bis 1896 vom Basler Architekten Paul Reber erbaut, ist ein interessanter Bau zwischen Historismus und den Anfängen der Moderne. Die architektonische Disposition wird den funktionalen Anforderungen des protestantischen Gottesdiensts unterworfen: Der "Redner" soll von allen Seiten gesehen und verstanden werden, was Pfeiler und Säulen ausschliesst, und das gesprochene Wort soll durch keine Gewölbekonstruktion akustisch beeinträchtigt werden. Dazu gesellt sich ein Interesse an neuzeitlichen Konstruktionen, das sich im Sichtmauerwerk aus Wiediker Backstein und in der handwerklich hervorragend ausgeführten sichtbaren Dachkonstruktion aus Leimholz äussert.

Kirche Felix und Regula

Als "das flachste jemals ausgeführte Gewölbe" beschreibt Emil Schubiger 1950 seine vorgespannte Betonschale (in Form einer cassinischen Lemniskate) für die katholische Aussersihler Kirche Felix und Regula. Sie zählt zu den wichtigsten katholischen Kirchenbauten des vergangenen Jahrhunderts und ist dafür europaweit bekannt. Die Kuppel hat eine Pfeilhöhe von lediglich 1.6 m. Zur Bemessung des Gewölbes zog Schubiger Edoardo Torroja als Berater bei, der zum Nachweis der Beulsicherheit in Madrid drei Modellversuche durchführte. Der Bau der Kirche wurde in einem Film festgehalten, der bis hin zum Ansetzen der Spannpressen aufschlussreiche Einzelheiten zum Baubetrieb der unmittelbaren Nachkriegszeit vorführt. Fritz Metzger, der Architekt der Kirche, erstellte später auch das benachbarte Kirchgemeindezentrum, in dessen Saal würdigten Katrin Schubiger und Jürg Conzett Leben und Werk des Spannbetonpioniers Emil Schubiger in zwei Kurzvorträgen.

Andreaskirche in Wiedikon

Sozusagen als protestantisches Gegenstück zu dieser Schalenkonstruktion könnte man den fein proportionierten orthogonalen Trägerrost in Sichtbeton bezeichnen, der den Kirchenraum von Jakob Padrutts Andreaskirche in Wiedikon überdeckt. Mit den Mitteln der Konstruktion und der Lichtführung wurde hier ein mystischer Raum geschaffen.

30. August 2008


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